Vorweihnachtliche Wortakrobatik

23. December 2022 » Erinnern & Gedenken

Die Sprache ist unser wichtigstes Kulturgut und unser Sprechen beeinflusst unser Denken. Wie wir Worte einsetzen ist für unsere inneren Bilder, Erinnerungen und Emotionen prägend. Dieser Prozess wird "Framing" genannt. Die letzten beiden Jahre haben uns gezeigt, dass wir permanent "geframt" wurden. Leider ist das nur wenigen bewusst, deshalb erscheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen. Besonders zu Weihnachten sollten wir uns daran erinnern, dass Ungeimpfte noch vor einem Jahr ausgesperrt und diffamiert wurden. So mancher Politiker hat von "Beugehaft" gesprochen und Renten- und Pensionskürzungen für "Leugner und Schwurbler" in Aussicht gestellt. Wurden diese Vorschläge nachvollziehbarer, nur weil die Gegenseite um keine Entgleisung verlegen war? Nein. Heute scheint es, haben wir zumindest in der Corona-Debatte das Schlimmste überwunden, dafür ist nun die Gender-Diskussion ausgebrochen. Ausgerechnet zu Weihnachten ist ein Wörterbuch herausgekommen, das für alljene, die rigorose Corona-Maßnahmen begrüßt haben, eine willkommene Ablenkung darstellt. Wir gendern, also gehören wir doch zu den Guten!? Leider sind die neuen Wortkreationen aber so absurd, dass sie trotz Weihnachtsamnestie wieder in der Versenkung verschwunden sind. Ein Beitrag zur Sprache, ein bisschen lächerlich und doch zutiefst ernst gemeint.

Ist Ihr Baum schon aufgeputzt und sind alle Geschenke verpackt? Nein, dann haben Sie doch zumindest Ihren Sprachgebrauch sensibilisiert, denn Sie wissen ja "Süßer die Glocken nie klingen als zur Weihnachtszeit". Ich bitte Sie bei der Auswahl der Geschenke heuer besonders zu beachten: Kein Gender-Wörterbuch zu Weihnachten, schon gar nicht das vom Kärntner Landeshauptmann, denn das ist wieder eingezogen worden. Warum? Naja, weil obrigkeitshörige, staatliche Sprachvorgaben seit der Nazi-Zeit zumindest im deutschsprachigen Raum nicht mehr erwünscht sind. Grundsätzlich hat es der Kärntner Landeshauptmann ja nur gut gemeint, indem er zunächst seiner Landesrätin grünes Licht gab, als diese aus einer Polizistin oder einem Polizisten eine "Polizeikraft" gemacht hat. Als der/die Beamte jedoch eine "beamtete Person" wurde, hat sich der LH - der Überlieferung zufolge - auch auf den Kopf gegriffen. Ja, die skurrile Wortakrobatik ist wieder in der Versenkung verschwunden, hat in den letzten, vorweihnachtlichen Tagen aber gehörig Staub aufgewirbelt. Und weil es so skurril ist, darf ich ihnen ein paar Bonmots frei Haus liefern: Anfänger/Anfängerin sollen künftig "Personen ohne Vorkenntnisse" sein, der Ehepartner wird nur mehr zur "verehelichten Person", die Hexe "eine Zauberkraft innehabende Person" und der Täter eine "Unrechtsperson". Der Bauer oder die Bäuerin sollen künftig "landwirtschaftlich Beschäftigte" sein und der Gast sollte einfach "Besuchsperson" genannt werden. Wobei nicht schlüssig ist, warum der Gast schlecht, die Kraft aber einhellig gut sein soll? Der nächste Schritt wird dann sein, den Menschen generell sprachlich zu verbannen, weil das Weibliche in der Grammatik per se besser ist - oder wie? Stopp, ich muss zugeben, dass mich diese woke Wortakrobatik einfach nur nervt. Wobei ich fest davon überzeugt bin, dass das Wie wir sprechen unser Was beeinflusst.

"Sprache schafft Wirklichkeit"

Der große Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein hat mit diesem Zitat gekonnt beschrieben, dass uns Sprechakte enorm beeinflussen. Und wir sind uns wohl wirklich einig, dass Propaganda-Vokabular der Nazis im heutigen Sprachschatz nichts mehr verloren hat. Doch wie war das noch vor einem Jahr als in der "Zeit" die Diskriminierung von Ungeimpften als "ethisch gerechtfertigt" bezeichnet wurde und in der gleichen deutschen Wochenzeitung die "Wut auf Ungeimpfte" und die "innere Radikalisierung" salonfähig wurde? Um nur einige wenige der ausufernden Pressemeldungen zu nennen.

Noch vor einem Jahr hat man die Menschen, die sich gegenüber Maßnahmen und Impfung kritisch geäußert haben und von einer bestimmten Linie abgewichen sind, als "Covidioten", "Verschwörer" und "Aluhutträger" bezeichnet und sie dem öffentlichen Pranger preisgegeben. Wurde diese Propaganda-Sprache bewusst überhört, weil sie aus der vermeintlich "richtigen Ecke" kam? Nun, heute sind Test- und Maskenpflicht offiziell aufgehoben auch die Impfpflicht ist vom Tisch. Wobei die Impfkampagnen der Bundesregierung wieder richtig Fahrt aufgenommen haben. Mit großen, plumpen Lettern steht auf Plakatwänden und in allen Print- und Online-Medien geschrieben, dass unser Tiroler Freiheitskämpfer die "Mander" zum Auffischen aufrufen soll. Die noblere Klinge wird mit einem "Aufgefriiischt" nach Hugo von Hofmannsthal angeschlagen, wobei vergessen wird, dass dies im Jedermann-Original der Tod ruft. Was nun tatsächlich eine verheerende Botschaft ist und nur einmal mehr zeigt, wes Geistes Kind die Verfasser dieser Kampagnen sind.

Ist es nun angesichts der großen, sprachlichen Corona-Entgleisungen der letzten Jahre genug auf das korrekte Gendern zu verweisen und sich in die Diskussion der polygender Identitäten zu flüchten? Gehört man mit der bedeutungsschweren Pause bei den Teilnehmer_innen, mit dem permanenten Binnen-I und der demonstrativ zur Schau gestellten, sprachlichen Wortakrobatik wirklich zu den Guten? Kann man die Ausgrenzung der jüngsten Vergangenheit einfach ignorieren? Dass aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe oder Religion niemand diskriminiert werden darf, sollte selbstverständlich sein. Wenn man an die abwertende Impf-Debatte des letzten Jahres erinnert, erntet man von den sonst so Sprachsensiblen zumeist nur einen hohlen Blick, ohne ein Wort der Einsicht. Das kann man doch nicht vergleichen. Kann man nicht? Ich finde sehr wohl. Und man sollte stets daran erinnern, dass auch sprachliche Entgleisung Wirklichkeit schafft. Eine, die wir wirklich nicht wollen!

Zuguterletzt noch eine weihnachtliche Frohbotschaft: Das Christkind darf bei seinem grammatikalischen Geschlecht bleiben. Nur der Weihnachtsmann ist weiterhin problematisch und wird wohl oder übel genderfluide werden. Am heutigen Weihnachtstag jedoch bringt das Christkind die Geschenke und nicht der geschlechtsneutrale Weihnachtsmensch, auch wenn dies vielleicht der Kärntner Landeshauptmann oder so manche, moralische BesserwisserInnen gutgeheißen hätten.

Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in ein gesundes und vor allem wieder vernünftigeres Jahr 2023!