Showdown in rostrot

16. June 2019 » Gesehen & gehört

Judith W. Taschlers Erfolgsroman "Die Deutschlehrerin" wurde in den Kammerspielen uraufgeführt. Ein bravouröses Stück über verlorene Liebe und packendes Story-Telling.

Mathilda und Xaver waren lange Zeit ein Paar. Die Deutschlehrerin und der Schriftsteller. Sie waren glücklich. So schien es zumindest der Deutschlehrerin. Bis sie eines Tages nach einem langen Schultag nach Hause kam und ihr ein fehlendes Bild an der Wand in die Augen stach. Es war mit Xaver verschwunden. Spurlos, ohne Erklärung, ohne Abschiedsbrief. Die Deutschlehrerin verlor den Boden unter den Füßen als sie in der Klatschpresse las, dass der Schriftsteller nun eine reiche Hotelerbin heiratet, die ein Kind erwartet. Ihr so sehnlich gewünschtes Kind. Xavers Glück schien perfekt, doch auch dieses bröckelte bald: Jakob war hyperaktiv, der Vater überfordert und beim Au-Pair-Mädchen suchend, was er in seiner Ehe nicht fand. Bis eines Tages der kleine Sohn aus dem Kinderwagen verschwand und nie mehr auftaucht. Entführt oder gar ermordet? Quälende Fragen, denen die Ehe nicht standhielt. Mathilda jedoch bekam ihr Leben langsam wieder in den Griff und eines Tages lädt sie den Schriftsteller zu einem Workshop an ihre Schule ein ...

Da setzt das Stück ein. Xaver (Jan-Hinnerk Arnke) beantwortet das erste Email von Mathilda (Antje Weiser) am Handy. Er tippt aufgeregt, das ertönende "Pling" signalisiert das Senden. Sie erwartet sehnsüchtig, doch lässt sich mit ihrer Antwort Zeit. Er will mehr wissen: "Mathilda! Rufezeichen, Rufezeichen. Du bist es wirklich? Fragezeichen. Fragezeichen. Erzähl mir von Dir?" Regisseur Thomas Krauß und Bühnen- und Kostümbildner Heilfried Lauckner, schufen ein reduziertes Setting: Verschiedene Stühle, allesamt in rostrot. Die Lieblingsfarbe der Deutschlehrerin. Die Protagonisten schreiben sich zunächst nur. Symbolisiert mit Papierfliegern, die hin und her geschossen werden. Sie lesen ihre Emails laut vor, kommentieren aufgewühlt. Ein erstes Knistern der ehemals (und vielleicht noch immer) Liebenden wird spürbar. Aber auch die Vergangenheit wird verschriftlicht. Die Schmach der Klatschpresse prangt als Artikel auf den Stühlen. So manche Frage bleibt offen, so manch Quälendes bleibt unbeantwortet. Das unausweichliche Treffen wird heiß ersehnt und ängstlich erwartet. Xaver kommt mit einer Blume, Mathilda serviert Kuchen. Erneut funkt es zwischen den beiden. Der Zuschauer wünscht den Liebenden ein Happyend wie im Film. Doch Theater ist anders. Zu schwer wiegt die Last der Geschichte.


"Erzähl mir endlich wieder eine Geschichte. Eine Geschichte mit Showdown."

"Wie früher?"

"Ja, wie früher!"


An einem weinseligen Abend lassen die beiden ihre Tradition des Storytellings wiederaufleben. Sie ersinnt eine abstruse Geschichte aus Entführung und Folter im Keller. Antje Weiser spielt so intensiv, dass einem das Schaudern überfällt: Erinnerungen an die so erschütternden, realen Entführungsfälle von Kampusch und Fritzl werden wach. War es tatsächlich die so sympathische Deutschlehrerin im rostroten Kleid und biederer Strickjacke, die sich rächen wollte? Ein erster Showdown. Xaver will weg, raus aus der erdrückenden Last der Vergangenheit. Jan-Hinnerk Arnke spielt den verwirrten Schriftsteller grandios. Seinen Gefühlen des Scheiterns als Vater, Ehemann, Lebensgefährte, steht er hilflos gegenüber. Doch Mathilda besteht auf den zweiten Showdown. Die Geschichte muss zu Ende erzählt werden. Xaver lässt sich zögernd ein, spielt diesen verhängnisvollen Tag noch einmal durch. Erzählt von der Biogas-Anlage, gesteht sich seine manische Suche nach Liebe und Anerkennung als Schriftsteller ein, die ihm nach seiner Trennung in jeder Hinsicht verwehrt blieben. Der dritte Showdown kam erneut von Mathilda und erzählt von Krankheit und dem unausweichlichen Lebensende. Rachegefühle und Schuldsuche scheinen zu Ende. Die Deutschlehrerin und der Schriftsteller gehen auseinander, nicht ohne eine immense Geschichte hinterlassen zu haben.

"Nirgends gibt oder gab es jemals ein Volk ohne Erzählung, sie ist einfach so da, wie das Leben."
Roland Barthes (1915-1980), franz. Philosoph

Die Lust des Menschen zu erzählen oder Geschichten zu lauschen, gehört zu seinem verinnerlichten Grundbedürfnis. Judith W. Taschler, Ehefrau und Mutter von drei Kindern, lebt dieses ihr Bedürfnis seit 2012 aus. Sie veröffentlichte bisher sechs Romane, für "Die Deutschlehrerin" erhielt sie den Friedrich-Glauser-Preis. In den Kammerspielen des Tiroler Landestheaters wird ihre eindringliche, akzentuierte Sprache original wiedergegeben. Antje Weiser und Jan-Hinnerk Arnke legen immense Spielfreude auf die Bühne, ihre Rollen scheinen authentisch konzentriert. Die packende Geschichte der Tiroler Erfolgsautorin wurde bravourös umgesetzt. Die schlichte Bühnengestaltung lenkt bewusst auf die dichten Dialoge. Es kam zu keiner Zeit Langatmigkeit auf. Das Paar erzählte sich Geschichten in lebensechten Tempi mit realen Intentionen und leidenschaftlichen Gefühlen - ganz ohne Schwächen. Ein großartiger Theaterabend!