Endlich darf das Schöne wieder schön sein

27. February 2019 » Gesehen & gehört

Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurde die Schönheit immer mehr verpönt. Für die zeitgenössische Kunst zu banal, für die Architektur zu profan und für die Designwelt schlichtweg nicht von Interesse. Das Duo Stefan Sagmeister & Jessica Walsh widmen sich dem Schönen in einer spektakulären Ausstellung, die noch bis Ende März 2019 im Wiener MAK zu sehen ist.

Was für ein Empfang!
Beim Eintritt in die Säulenhalle werde ich zunächst mit Nebel eingehüllt. Der erste Blick fällt auf einen Pfau mit leuchtendem Federkleid. Dazu wird die schöne Strategie der Tiere zur Demonstration der Paarungswilligkeit beschrieben. Unterscheidet das Tier also nicht sehr vom Menschen - denke ich beiläufig. Daneben eine Videoinstallation über einen Neurologen, der Patienten mit Demenz behandelt. Diese suchen immer wieder dieselben Bilder aus und bezeichnen sie als schön, auch wenn ihr Kurzzeitgedächtnis vollkommen verloren gegangen ist. Das Video soll zeigen, dass die Empfindung der Schönheit eine Konstante ist, jenseits des intellektuellen Zustandes.
Daneben eine Station mit drei Knöpfen, gegenüberliegend ein Video mit einem Vogelschwarm, den man per Knopfdruck verändern kann. Um zu zeigen wie schön schwärmen sein kann? Beim Hinterfragen dieses Wortspiels schon eine neue, rauschende Schönheit entdeckt: Am Plafond der riesigen Säulenhalle schwebt eine Installation mit unzähligen Plastiksackerl, die immer wieder aufgeblasen und bewegt werden. Ich lege mich auf die Couch, die mitten in der Halle steht. Die große Anzahl und die regelmäßige Bewegung lassen die Sackerl als schön erscheinen. Aber können Sackerl denn wirklich schön sein? Im Kontext der Ausstellung keine banale Frage, denn diese ist der Schönheit per se gewidmet, die sich in allen Dingen entdecken lässt. Sofern wir das Schöne sehen wollen.

Die Schönheit und der Hohn
105 Jahre nach Adolf Loo´s Schrift "Ornament und Verbrechen", in dem er die reich verzierten Fassaden der Zinskasernen kritisierte, hinter denen Arbeiterfamilien auf engstem Raum hausen mussten, widerlegen heute Sagmeister & Walsh mit der Behauptung: Je schöner die Umgebung, desto zufriedener der Mensch.

An der Ferstel-Büste auf der Treppe prangt das "Schönheitsmanifest" von Günther Nenning aus dem Jahre 1984, in dem "das schöne Österreich als immer hässlicher" beschrieben wird. Auch damals wurde das Schöne verspottet. Im MAK wird nun ein Plädoyer für das Schöne gehalten, doch auch hier wird mit Kritik nicht gespart: Zu populistisch seien die einfachen Vergleiche von Sagmeister & Walsh, schreibt das Feuilleton. Ein Beispiel: In der Ausstellung sind Fotografien von Wohnblöcken aus aller Welt zu sehen. Alle in braun gehalten. Das Künstlerduo bezieht sich auf die Farbenlehre, die besagt, dass braun angepasst und schwermütig wirkt und stellt die offene Frage, warum sozialer Wohnbau nicht bunt sein darf. Die Kritiker reagierten prompt: Braune Quader in der Architektur einfach als hässlich abzutun, die wirtschaftliche Notwendigkeit des zweckmäßigen Wohnbaus aber außer Acht zu lassen, sei oberflächlich. Doch würden die Quader in blau oder rot nicht denselben Dienst tun? Bei aller Banalität und Tragik, die in der Welt herrscht - was spricht gegen das Schöne?
 
Unterhaltung ist doch schön!
Wenn man mit Papierjetons abstimmen kann, welche Farbe, Landschaft oder Geruch am schönsten wahrgenommen werden, um anschließend zu vergleichen, ob man dem Mainstream entspricht - darf das doch durchaus sein. Eine virtuelle Skulptur am Flatscreen zu entwerfen, Farbe, Stil und Dynamik zu verleihen, ist doch eine schöne Beschäftigung. Plattencovers von David Bowie und Andy Warhol betrachten, über das "actually"-Cover der Pet Shop Boys lachen, sich einen Song im Dunkeln anhören und sich den Klängen hingeben - all das ist doch schön!
Sagmeister & Walsh zeigen, dass bereits der geringste Einsatz von Schönheit unsere Wahrnehmung verbessert und unsere Aufmerksamkeit erhöht. Zwei Bilder zeigen eine indische Landschaft aus demselben Blickwinkel: Auf dem einem sind bunt gewandete Frauen in Saris zu sehen, auf dem anderen lediglich pure Landschaft. Bei aller Tristesse der indischen Steinwüste - raten Sie mal welches Bild schöner erscheint? In einer symbolisierten Röhre werden Bilder von U-Bahnstationen aus München und Moskau gezeigt. Die einen sachlich-funktionell, die anderen detailverliebt gestaltet. Wo steigt man lieber ein?

Sagmeister & Walsh widersetzen sich einem allzu kritischen Anspruch und gehen von der Tatsache aus, dass unser Schönheitssinn in der Biologie verankert ist. Denn schon Platon hat gewusst: Ethik ist Ästhetik. Erstere gilt als philosophische Disziplin, die allgemeine Kriterien zur Bestimmung des richtigen, menschlichen Handelns definiert. Die Ästhetik hingegen beschäftigt sich mit der sinnlichen Wahrnehmung, die ständig verfeinert und erweitert werden soll, damit ästhetische Reichhaltigkeit auch vollständig erfahren werden kann. Sagmeister & Walsh spannen einen weiten Bogen rund um die Schönheit und die vielfältigen, sinnlichen Qualitäten von wahrgenommenen Erscheinungen.

Auch Kitsch ist Kunst
Nur im sogenannten sensorischen Raum wird der Begriff Schönheit etwas überstrapaziert. Man muss sich Hüllen über die Schuhe stülpen, ehe man den nach Zitrus duftenden white cube betreten darf, der zudem mit Regenwaldgeräuschen beschallt wird. Diese Installation scheint zu offensichtlich auf den Premiumsponsor zugeschnitten. Und auch über das Logo zur Ausstellung kann man geteilter Meinung sein. Das barocke B aus einer Schlange geflochten und mit Rosen verziert, ruft durchaus kitschige Assoziationen hervor. Wobei auch Kitsch eine Kunst sein kann, wie Jeff Koons mit seinen ironischen Ballons Dogs beweist. Objekte der Alltagskunst und Konsumkultur zu verfremden ist kein Novum, sondern eine künstlerische Position.

Warum also die Schönheit als Provokation verstehen und zum Gespött der Intellektuellen machen? Die Schau verfolgt keine Doktrin. Sagmeister & Walsh zeigen einfach auf, dass wir auf die Schönheit nicht verzichten sollen. Mit fundierten Inhalten als unterhaltsames Story-Telling und viel Klimbim. Das ist gut und schön so.