Die Absurdität von Intrige und Irrsinn

29. January 2019 » Gesehen & gehört

Die britische Monarchie zu Beginn des 18. Jahrhunderts: Queen Anne Stuart (1665-1714), gespielt von Olivia Colman, ist hin und her gerissen. Soll sie den Krieg mit Frankreich beenden, der das Land grenzenlos verschuldet hat? Oder soll sie dem Stolze frönen und unnachgiebig sein? Mit wenig Bildung und Intellekt ausgestattet, spielt Anne lieber mit ihren Hasen, die sie an ihre verstorbenen Kinder erinnern. Die Queen war 17 Mal schwanger, erlitt jedoch überwiegend Tot- oder Fehlgeburten. Auch vier von fünf lebend geborenen Kindern überlebten das Kleinkindalter nicht. Auch der designierte Thronfolger starb im Alter von 11 Jahren an den Pocken. Von diesem schweren Mutter-Schicksal gebeutelt, plagten sie zudem schmerzhafte Gichtanfälle.

Bizarre Spiele übertönen die Stimme des Volkes

Queen Anne war eine geschwächte Kreatur, die sich von ihrer vertrauten Jugendfreundin Sarah vertreten ließ. Die Herzogin von Marlborough, exzellent gespielt von Rachel Weisz. Sie führt die eigentlichen Geschäfte, rät zur Kriegsführung und agiert im Interesse ihres Mannes, der die Franzosen an der Front bluten sehen will. Auch wenn die Königin Gewissensbisse verspürt, herrscht zumindest zu Hofe Frieden. Betäubt von allerhand wahnwitzigen Spielen, wie Orangen auf nackte Männer werfen, Tontaubenschießen und Entenrennen, werden die Hilfeschreie des britischen Volkes bewusst überhört. Erst die Ankunft der armen Cousine Sarahs, die liebreizende Abigail (Emma Stone), stört die opulenten Hofzeremonien. Schon bald wird gezankt was das Zeug hält und die dunklen Seiten der Macht treten zutage. Abigail läuft Lady Sarah schon bald den Rang ab und zieht bei der Königin alle Register. Diese wiederum genießt das Buhlen um ihre Gunst und verlangt ungehemmt sexuelle Gefälligkeiten. Regisseur Yorgos Lanthimos legt das Historiendrama sprachlich ins Heute und lässt die Frauen „Fut“ oder „blöde Fotzen“ schimpfen. Höfliches Geplänkel ist nur in seltenen Sequenzen zu vernehmen, zumeist feiert die Derbheit fröhliche Urständ.

Humoristische Details in bissigen Machtspielen

Lanthimos unterteilt die Episoden in beschrifteten Akten, leitet so die klugen Dialoge ein, die aus absurden Streitigkeiten hasserfüllte Kriege evozieren. Immer wieder blitzt humoristische Überspanntheit auf: „Du siehst aus wie ein betrunkener Dachs“ oder „Liebeswerben verdient nur Schläge und Schlamm.“ Die Figuren sind überschminkt, überreizt, übertrieben. Sie tragen prachtvolle Perücken, weißen Puder und purpurrote Lippen. Sadismus und Nonsens, Intrigen und Irrsinn changieren nebeneinander. Das Lachen bleibt im Halse stecken.

Surreale Kamera und brillante Schauspieler

Basierend auf der wahren Geschichte von Queen Anne und ihrem unversöhnlichen Zerwürfnis mit Lady Marlborough, einer Vorfahrin des großen, britischen Staatsmannes Winston Churchill, ist „The Favourite“ ein bizarrer Kostümfilm mit surrealer Kameraführung. Die obskuren Szenen am Hofe werden im Fischaugen-Weitwinkel noch prunkvoller. Die Nähe und Distanz der Bilder, die Angst und Allmacht der Figuren, machen Zerrissenheit fühlbar. Rachel Weisz und Emma Stone spielen sich geschickt gegeneinander aus, jedes Funkeln ihrer Augen ist eine große Geste. Besonders aber Olivia Colman brilliert als bemitleidenswerte Queen, die das Spiel zwischen geschwächter Frau, zerrütteter Wilden und dümmlicher Monarchin wunderbar beherrscht.

„The Favourite“ ist kein leicht zugänglicher Film, der Hang zu Opulenz und Übertreibung wiegt schwer. Doch die schauspielerische Perfektion, die Detailverliebtheit in der Ausstattung und die satirische Annäherung an die Realität der englischen Krone im 18. Jahrhundert, macht den Film zur grenzgenialen Herausforderung für den Kinobesucher. Sehr sehenswert!